Ich besuche meine 93-jährige Freundin regelmässig.. Sie ist eine bemerkenswerte Frau – klug, warmherzig, mit einem wachen Geist. Doch in letzter Zeit merke ich, daß sie des Lebens langsam überdrüssig wird. Wir sprachen darüber, wie alles im Leben seine Zeit hat und dass sie auf viele schöne Momente zurückblicken kann.
„Es ist gut so, wie es war“, sagt sie oft. Diese Worte lassen mich innehalten und sind sehr emotional für mich.
Es gibt kein richtig oder falsch, auf solche Aussagen zu reagieren. Ich versuche, einfach da zu sein, zuzuhören und ihr das Gefühl zu geben, dass ihre Gedanken Platz haben dürfen. Unsere Gespräche bleiben nicht nur in der Vergangenheit. Schnell kommen wir auf das Hier und Jetzt zu sprechen
Beispielsweise:
Dass sie rechtzeitig ihre Wahlbenachrichtigung erhält. Für sie, die ihr Leben lang demokratische Werte geschätzt hat, ist die Teilnahme an Wahlen eine Selbstverständlichkeit – auch im hohen Alter. Diese Haltung beeindruckte mich immer wieder und erinnerte mich daran, wie wichtig es ist, Verantwortung zu übernehmen, egal in welcher Lebensphase wir uns befinden. Es zeigt mir, dass es nicht nur darauf ankommt, wie wir das Leben reflektieren.
Jedes Mal, auf der Fahrt nach Hause, bin ich nachdenklich. Es macht mich demütig, diese unterschiedlichen Phasen des Alters mitzuerleben. Es zeigt mir, wie viel wir von hochaltrigen Menschen lernen können – über das Leben, das Loslassen und darüber, wie wichtig es ist, in jederPhase unseren Platz zu haben. Zuversicht ist in den Phasen des Lebens wichtig.
Für mich ist das Alter nichts, das ich fürchte. Vielmehr sehe ich es als Chance, immer wieder neu zu lernen – über mich selbst, über andere und über die Welt. Dabei wird mir bewusst, wie viel Verantwortung ich habe, mein eigenes Alter aktiv zu gestalten. Es geht nicht nur darum, wie lange wir leben, sondern wie wir diese Zeit gut ausfüllen
Die Besuche sind für mich eine wertvolle Erinnerung daran, wie viel Reichtum in den Lebensgeschichten der Älteren liegt. Sie motivieren mich, jeden Tag bewusst zu gestalten, die kleinen Dinge wertzuschätzen und den großen Dingen mit Gelassenheit zu begegnen.
Ein Appell an uns alle:
Wir alle werden eines Tages alt – das ist eine Tatsache, die wir uns stellen müssen. Doch wir können entscheiden, wie wir damit umgehen. Meine Freundin zeigt mir, dass das Leben auch in seinen letzten Kapiteln Bedeutung hat.
Es liegt an uns, diesen Kapiteln die Wertschätzung zu geben, die sie verdienen. Lass uns die älteren Menschen in unserem Leben nicht nur besuchen, sondern wirklich zuhören. Lass uns von ihnen und ihrer Geschichte
lernen.
Das Alter ist nicht das Ende. Es ist eine Bühne, auf der die Reife des Lebens sichtbar wird. Und es liegt an uns, diese Reife zu ehren – mit Demut, Respekt und einer gehörigen Portion Zuversicht.